U.F.O.S im Archiv
Das dunkle Geheimnis des Rautenstrauch-Joest Museums
Ein Kommentar von Yuna-Lee Pfau
Was sind Ufos?
Im Archiv des Rautenstrauch-Joest-Museums befindet sich ein Sammelsurium von mehr als 3000 Artefakten, die als unidentifizierbare Fundobjekte bezeichnet werden - kurz Ufos. „Unidentifizierbar“ bedeutet in diesem Kontext, dass die essenziellen Informationen der Objekte gänzlich fehlen oder nur lückenhaft vorhanden sind. Ohne besagte Informationen, wie z.B.: Herkunftsland, Herkunftsort, Entstehungsjahr, Zweck und Materialität, können die Gegenstände nicht für die ethnografische Wissenschaftsarbeit eingesetzt werden und sind somit zunächst für den Museumsbetrieb unbrauchbar. Doch was genau geschieht jetzt und in Zukunft mit diesen Ufos? Sind sie nichts weiter als physische Materie, dazu verdammt in dem Archiv des Museums zu verschimmeln? Und wenn ja, wie und warum kamen sie dann überhaupt in den Besitz des Rautenstrauch-Joest Museums?
Woher kommen sie? Herkunft der Ufos
Die ersten Ufos wurden wohl als Teil der gigantischen Hinterlassenschaft des "Weltreisenden", "Sammlers“ und selbsternannten Ethnografen, Heinrich Joest, an das Museum übergeben. Während er Zeit seines Lebens erfolgreich seiner eigens auferlegten Mission der ethnografischen Wissenschaftsarbeit nachging, nämlich so viele Gegenstände wie möglich von den Kulturen zu erhandeln/erbeuten, denen er auf seinen Reisen über den Weg lief, fanden sich unter seinen datierten Souvenirs eben auch einige Ufos. Es muss ihm schwer gefallen sein, bei solch einem Konglomerat von über 3.500 Objekten den Überblick zu behalten. Zusätzlich folgten über die Jahre hinweg immer Mal wieder großzügige Schenkungen von Sammlungen aus dem Privatbesitz, von denen ebenfalls eine Vielzahl der Objekte bis heute unidentifizierbar bleibt. Und während sich also das Museum seit dessen Gründung der Herausforderung stellt, eine Form der konservatorischen Ordnung für eben diese sich stetig vermehrende Sammlung anzulegen, sie zu kategorisieren und zu sortieren, mussten auch die unidentifizierbaren Objekte der Ordnung weichen. Und so entstanden die Ufos, jene Gegenstände, die allein durch ihre unkategorisierbarkeit kategorisiert wurden.
Und jetzt? Die Subversive Kraft der Ufos
Das Label, welches diesen Außenseiter-Artefakten resultierend aus der Methodik ethnografischer Wissensproduktion übergestülpt wurde, kreiert zugleich ein Potential, eben diese Methodik auf theoretischer, praktischer und poetischer Ebene im aktuellen dekolonialen Diskurs zu betrachten und zu hinterfragen.
Die Ufos erinnern in ihrer scheinbaren Unidentifizierbarkeit daran, dass die Methodik der ethnografischen Wissensproduktion wortwörtlich als eine Form der Produktion verstanden werden muss.
Damit ist gemeint, dass alle Gegenstände, die aus ihren Ursprünglichen Kulturen und Wirklichkeiten extrahiert werden (gewaltsam oder nicht), systematisch durch die soziale Wirklichkeit der westlich-hegemonialen Ethnografie/Sozialwissenschaften filtriert und zu kontextspezifischen Artefakten transformiert werden. Und nur in dieser Form sind die Artefakte für die europäische Ethnografie und dessen Museumsbetrieb brauchbar.
Die Objekte, welche z.B. heute in der Dauerausstellung des RJM zu sehen sind, erzählen zusammen eine stimmige Geschichte. Sie erzählen von der Diversität der fernen Kulturen der Welt und evozieren exotische Abenteuer in den Köpfen der Besucher:innen. Mittlerweile spiegelt das Museum natürlich auch in einem kontrollierbaren Rahmen die Auseinandersetzung mit seiner eigenen und der allgemeinen kolonialen Geschichte Europas. Eben so, dass sich das breite Spektrum der Mehrheitsgesellschaft angesprochen fühlt zu lernen, sich kritisch mit der (meist) eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen, aber eben auch um unterhalten zu werden.
Das Bild, welches die Objekte in der Ausstellung des RJM abzeichnen ist also nach wie vor von einem institutionellen Narrativ geprägt, welches sich beliebig transformieren und mit der Zeit mitgehen kann. Es bleibt aber immanent und unweigerlich ein Bild, dass für die deutsche/europäische Bevölkerung gezeichnet wurde und wird. Die Debatte um die Existenzberechtigung ethnografischer Institutionen, wie das Rautenstrauch-Joest Museum, werden wohl im Anbetracht der deutschen Bürokraten-Mentalität eher schleppend bis gar nicht voran schreiten.
Reduziert man den kritischen Blick auf die Teilfrage der Diskussion, ob und wie man die Produkte der Kolonialzeit in einer ethnografischen Institution ausstellt, dann haben die Ufos zumindest diesbezüglich das Recht, Teil des Gesprächs zu werden. Die Ufos sind wie kleine Kieselsteine, die in den Zahnrädern der ethnografischen Wissensproduktion stecken bleiben. Ihnen haftet eine immanente Subversive Kraft an, die es vielleicht vermag, das Bild des Museums und dessen Geschichte nicht nur zu vervollständigen, sondern es zu zerreißen. In viele kleine Schnipsel. Einer Multitude an Sichtweisen und Wirklichkeiten, einem Chaos, dass eine ethnografische Institution, wie wir sie kennen, vielleicht nicht mehr vermag zu fassen.
Die Ufos auszustellen könnte heißen, dass das Museum nicht dazu in der Lage wäre sein vermeintliches Wissen zu liefern.
Es wäre eine Chance, die Restringierungen der ethnografischen Arbeit offen zu legen und nicht zuletzt die kolonialen Züge in dem methodischen Filtrierungsprozess, den Objekte aus nicht europäischen Kulturen unterlaufen um zu Artefakten eines europäischen Narrativs zu werden, zu konfrontieren.
Nachwort
Dieser Text ist ein freies, nicht wissenschaftliches Kommentar, welches im Rahmen der Ausstellung „Not allowed to rot“ des Leaky Archive-Projektes vom Rautenstrauch-Joest Museum geschrieben wurde.
Das Kommentar ist ein Pendant zu der gleichnamigen, satirischen Videoarbeit von Yuna-Lee Pfau, welche ebenfalls im Rahmen der Ausstellung entstanden ist und dort gezeigt wird.
Die Informationen, die in dem Text kritisch dargestellt werden, wurden primär aus Interviews mit den Museumsangestellten des Rautenstrauch-Joest Museums entnommen.
Sekundär bezieht sich der Text auf wissenschaftliche Quellen zu dem Thema Archivierung in der Ethnografie.
Quellenverweise
Carl Deussen, Mitarbeitender des Forschungsprojekts „Wer ist Joest?“
gefördert von: Fritz Thyssen Stiftung, Museumsgesellschaft RJM e.V.
Interview am 25.05.2023
Dr. Fabiola Arellano Cruz, Leiterin Bildung und Vermittlung, Museumsdienst RJM
Interview am 17.08.2023
Christian Meyer.Probleme der Archivierung und sekundären Nutzung ethnografischer Daten.
erschienen in: Hollstein, Betina und Jörg Strübing (Hg.) 2018): Archivierung und Zugang zu qualitativen Daten. RatSWD Working Paper Series 267. Berlin
Miraj Rasool.Rethinking the ethnographic museum.Downloaded from Brill.com04/10/2023 04:44:00PM via free access
http://www.rautenstrauch-joest-museum.de/Geschichte, gesehen am 05.09.23